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Bildungssystem

Landeselternsprecher will nicht mehr

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Elternvertreter im Südwesten fühlen sich vom Land nicht Ernst genommen
Veröffentlicht:09.01.2023, 18:30

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Er ist ernüchtert: Nach bald drei Jahren im Amt will Michael Mittelstaedt nicht mehr an der Spitze des Landeselternbeirats (LEB) stehen. „Als Vorsitzender werde ich nicht nochmal antreten“, sagt er am Montag der „Schwäbischen Zeitung“.

„Ob ich als Mitglied kandidiere, weiß ich noch nicht.“ Am Wochenende beginnen die Wahlen zum 20. LEB, im Mai wählt das neue Gremium dann seinen Vorsitzenden. Der LEB habe zu wenig Schlagkraft, nennt Mittelstaedt als einen Grund für seinen Rückzug. Neu ist die Klage nicht: Manche seiner Vorgänger sind frustriert aus dem Amt geschieden.

Mitte 2020 ist Mittelstaedt zum obersten Elternsprecher des Landes gewählt worden. Damals habe er gedacht, dass nun die Zeit reif sei für grundlegende Veränderungen, hat er jüngst im Magazin des LEB resümmiert. Die Corona-Pandemie habe schließlich die „eklatanten Missstände und Versäumnisse im Bildungssystem“ offengelegt. Hier könne der LEB dazu beitragen, die Bildung im Sinne der Kinder zu verbessern, hatte er gehofft.

Politische Scharmützel

Nach zweieinhalb Jahren im Amt klingt Mittelstaedt ernüchtert. „Ich dachte, dass man sich mit Ministern und Referatsleitern zusammensetzen und über grundsätzliche schulische Themen diskutieren kann. Das war meine naive Vorstellung“, sagt er nun. „Ich habe gelernt, dass es nicht so ist. Es gibt politische Scharmützel statt einer offenen inhaltlichen Auseinandersetzung.“

Immer wieder hat er etwa auf mehr Teilhabe der Eltern an der Schulpolitik gepocht – nicht erst, wenn eine Entscheidung bereits getroffen ist, sondern im Prozess sollten die Eltern mitreden und entscheiden. Erst vergangene Woche hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) diese Forderung zurückgewiesen.

Mehr formale Mitbestimmung der Eltern sei nicht nötig. Mittelstaedt wollte eigentlich sogar ein Veto-Recht für Mütter und Väter gegen Entscheidungen in den Schulen. „Wenn wir als Elternschaft geschlossen gegen etwas sind, darf es nicht ein, dass etwas durchgewunken wird“, erklärt er.

Aus Frust ausgeschieden

Schon manch Vorgänger Mittelstaedts ging es ähnlich. Christiane Staab beispielsweise war bis 2010 sechs Jahre lang LEB-Vorsitzende. Die Schlagzeilen ihres Rückzugs damals lauteten „Christiane Staab hört völlig frustriert auf“. „Wir waren noch sehr geprägt vom Pisa-Schock“, erinnert sie sich.

Im Jahr 2000 hat die internationale Pisa-Bildungsstudie Deutschland ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt. Bildungserfolg hänge hier extrem vom Elternhaus und der Herkunft ab, so eine Erkenntnis.

„Wir haben gedacht vor 15 Jahren, jetzt ist die Zeit, das System neu zu justieren“, sagt Staab. „Ich muss inzwischen fast lachen, wenn ich mir vorstelle, dass wir seit 22 Jahren wissen, dass Bildungsungerechtigkeit in unserem Land das Problem ist, dieses aber vom IQB immer noch bescheinigt bekommen“, sagt Staab.

Sie bezieht sich auf weitere Vergleichsstudien des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. (IQB) „Da kommt natürlich auch Frust auf, denn die Gesellschaft hat sich in den letzten 15 Jahren nicht homogenisiert, sondern ist immer noch ungleicher geworden.“

Anderes Gremium, gleicher Frust

Inzwischen versucht Staab anderswo etwas zu bewegen: Seit 2021 gehört das CDU-Mitglied dem Landtag an. „Der Frust ist geblieben“, sagt sie. „Ich dachte, ich gehe in die Landespolitik, um dort den großen Rahmen für mehr Bildungsgerechtigkeit zu ändern.“

Als Bürgermeisterin von Walldorf habe sie gemerkt, was viel Geld und guter Wille aller Beteiligten bewirken könnten. „Wenn man sieht, wie wirksam das wird, ist man angetrieben und will das fürs ganze Land“, so Staab. An Geldmangel leide der Landeshaushalt nicht, das Geld müsse anders verteilt werden. „Wenn wir das nicht tun, verlieren wir weitere Schüler-Generationen. Ich befürchte, dass wir in der Abwärtsspirale bereits drinstecken.“

Trotz ihres frustrierten Abgangs damals lobt Staab die Bedeutung des LEB. „Ich kann mir keinen besseren Ort als den Landeselternbeirat vorstellen, um für die Sache mit Gleichgesinnten wirksam zu werden“, und zwar konstruktiv, nicht konfrontativ. „Das ist nicht leicht, denn ich merke an mir selbst, dass ich ein wenig die Geduld verliere.“

Auch Mittelstaedts direkter Vorgänger Carsten Rees klang am Ende seiner sechsjährigen Amtszeit massiv frustriert – auch wenn er nicht deshalb ausschied, sondern weil die Schulzeit seiner Kinder endete. Gegen Ende klagte er unentwegt, dass die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann ( CDU ) sämtliche Kommunikation mit ihm eingestellt habe.

Zu wenig Fokus auf Kindeswohl

„Worüber ich mich ärgere ist, dass die Politik es so schwer macht, etwas für Kinder zu erreichen“, sagt Rees heute. „Das System Kretschmann hat Bildungspolitik über Jahre an die Wand gefahren. Dann kam Ministerin Eisenmann, die die Zukunft der Kinder als politische Manövriermasse benutzte.“

Einige Erfolge haben die Eltern dennoch erzielt, etwa „endlich eine echte Parität zwischen Eltern und Lehrern“, sagt Rees. Frustration gehöre bei Misserfolgen aber auch dazu. „Mein kirchlicher Hintergrund hilft mir, bei Misserfolgen nicht in Frustration zu verharren“, sagt er und wünscht allen Beiräten des neuen Gremiums „Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen“.

Mittelstaedt will seinen Rückzug von der LEB-Spitze nicht als Kapitulation verstanden wissen. „Das ist kein Frust, sondern ein wertvoller Lerneffekt“, sagt er. „Ich weiß nun, dass es so nicht geht.“ An seinen Zielen habe sich nichts geändert, er wolle sich auf anderen Wegen für bessere Bildung einsetzen.

Etwa über den Landesbildungsrat, den er mitgegründet hat. Oder direktdemokratisch über Volksanträge, von denen er bereits zwei mit gestartet hat – für ein neunjähriges Gymnasium sowie für Lehrer-Tandems in Grundschulen. #

Den Glauben verloren

Was er sich für die anstehenden LEB-Wahlen wünscht, ist eine Beteiligung von mehr als fünf bis zehn Prozent der Schulen. Eine geringe Resonanz zeige zwei Dinge, sagt Mittelstaedt. „Erstens trauen die Eltern einem solchen Gremium offenbar nicht zu, Veränderung herbeizuführen. Und zweitens muss man den Verdacht haben, dass die Menschen resigniert sind, und nicht mehr daran glauben, in dieser Demokratie irgend etwas durch Engagement in einem Beratungsgremium bewegen zu können.“