pdf Zukünftig ohne Werkrealität
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Ein Beitrag von Matthias Zeitler, Lehrer an einer Werkrealschule
Lehrkräfte und Bildungs-Influencer fordern schon lange eine Reform des Bildungssystems. Nun kommt sie in Baden-Württemberg. Was bedeutet die Reform für die Werkrealschulen, für die die Änderungen einen großen Einschnitt bedeuten?
Der Werkrealschulabschluss wird zum Schuljahr 2029/2030 wegfallen. Die Werkrealschulen haben drei Möglichkeiten. Entweder sie schließen sich mit einer Realschule zu einer Verbundrealschule zusammen oder sie werden zu einer Gemeinschaftsschule. Gut laufende Werkrealschulen dürfen auch allein bestehen bleiben. In jedem der Fälle steht fest: Der Werkrealschulabschluss fällt weg.
Begründet wird der Wegfall mit der Minimierung der Werkrealschulen. In den letzten fünf Jahren ist die Zahl dieser Schulart von 583 auf 229 geschrumpft. Das ist klar, wenn man immer nur darauf schaut, dass es an manchen Werkrealschulen nur sehr kleine 5. Klassen gibt. Gibt es in zwei Jahren in Folge nicht mindestens 16 Kinder in der 5. Klasse, wird die Schule geschlossen, ohne zu beachten, dass in Klasse sieben und acht wieder viele Jugendliche aus anderen Schularten zurückkommen.
Spielen wir einmal die drei Szenarien durch: Die Werkrealschule, die sich dazu entscheidet, weiter allein zu bestehen, kann das nur so lange tun, wie sie genügend Fünftklässler bekommt. Sonst wird sie abgeschafft. Sie heißt aber weiterhin Werkrealschule, ohne den dementsprechenden Abschluss anzubieten. Die Verwirrung bei Eltern dürfte jetzt schon komplett sein. Zudem entzieht man der Schulart DAS Argument einen gleichwertigen mittleren Abschluss erlangen zu können, ohne die Beziehungsarbeit in der Klasse aufzugeben.
Die Verbundrealschule ist nur dann eine Lösung, wenn es in der Nähe der Werkrealschule überhaupt eine Realschule gibt. Gleichzeitig bieten die Realschulen weiterhin M- und G-Niveau an. Realschullehrkräfte klagen schon jetzt darüber, beide Niveaustufen gleichzeitig nicht adäquat abbilden zu können. So liegt der Fokus doch eher auf dem M-Niveau.
Die Möglichkeit zur Gemeinschaftsschule zu werden, ist für viele Pädagogen schwierig. Schließlich gibt es gute Gründe, warum die noch bestehenden Werkrealschulen die Transformation nicht vollzogen haben. Solange Schüler von Gemeinschaftsschulen zurückkommen, weil sie mit der dortigen Arbeitsform und Selbstständigkeit nicht klarkommen, braucht es alle Schularten. Die Gemeinschaftsschule ist wichtig, aber mit dem Lehrermangel und in der aktuellen Umsetzung (noch) nicht das Allheilmittel, für die sie gehalten wird.
Schulleitungen der Gemeinschaftsschulen erzählen, dass sie ehrlicherweise die Beziehungsarbeit, in der Form, wie sie an der Werkrealschule gemacht wird, nicht auf Dauer halten können, weil es ab Klasse 7/8 doch wieder um eine Gründung von gymnasialen Stufen geht.
Schauen wir genauer auf die Jugendlichen, die in der Bildungsreform mit ihren Bedürfnissen einmal mehr übersehen werden. Diese Schüler, mit ihrem etwas größeren Rucksack, die schulmüde in Klasse fünf auf der Suche nach ihrem schulischen Erfolg sind, sind nicht einfach mit einer Reform weg.
Was brauchen diese Jugendlichen, was sie an keiner anderen weiterführenden Schulart in dieser Ausprägung bekommen? In einem Wort: Beziehungsarbeit.
Diese Teenager haben vier Jahre frustriert gesehen, was alle anderen viel besser können als man selbst. An der Werkrealschule baut man das Selbstbewusstsein von schulmüden Kindern erstmal jahrelang auf, bis dann irgendwann eine Art selbstständiges Lernen möglich ist. Das ist vor allem mit dem Klassenlehrerprinzip möglich, dass es in der Ausprägung auch nur an der Werkrealschule gibt.
Kurzum: Die Reform bringt für die Werkrealschule und die dortige Schülerschaft nichts. Um für sie effektiv zu sein, braucht es etwas anderes: Endlich mehr Lehrkräfte, kleinere Klassen und damit dann alles Geld, Personal etc. erstmal in die Grundschulen, damit sie schon dort ihren Bedürfnissen nach gefördert werden können. Es braucht eine gesellschaftliche Wertschätzung aller Menschen und Abschlüsse und dabei dürfen auf keinen Fall Werkrealschulen auf der Strecke bleiben. Anstatt die Schulart zu stärken, die für die da ist, die mehr Unterstützung brauchen, wird in der Bildungsreform vor allem wieder der Weg zum Abitur besonders betont. „Ein faires – starkes Bildungspaket!“ sagt Ministerpräsident Kretschmann. Nicht für alle. Hauptsächlich nur für die, die starke Leistung zeigen können. Hoffen wir, dass es anders kommt – zum Wohle der Jugendlichen!
Zur Person
Moderator, Fortbildner und Lehrer: Matthias Zeitler ist alles drei und eigentlich liegen die Professionen ja sehr nah beieinander. Auf Instagram schickt er sich außerdem an, Influencer zu werden, einen Podcast hat er auch und das erste Buch geschrieben. Mit seiner Schwäche für Hüte und Kappen ist er immer leicht zu erkennen und von sich selbst sagt er: „Ich liebe Musik und Livekonzerte. Daher fühle ich mich im Schulsystem und auf der Bühne auch manchmal wie ein Punkrocker.“