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pdf Bereicherung als Cinderella und Eisbrecher

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Schulhunde – tierische Begleiter für die Bildung

„Darf ich Paulie ein Leckerli geben? ich habe alle Aufgaben fertig.“ Ben steht mit strahlenden Augen vor mir und zeigt mir sein Heft. Ich nicke und er nimmt sich aus der Schale am Pult ein Leckerli. „Paulie, schau!“ Meine Hündin erwacht, räkelt sich kurz, läuft schwanzwedelnd auf ihn zu und macht erwartungsvoll „Sitz“. Er füttert sie, setzt sich zu ihr und streichelt sie ausgiebig.

Die Kinder meiner fünften Klasse lieben „ihre“ Paulie. An zwei Tagen in der Woche kommt sie als Klassenbegleithund mit in den Unterricht. Gemeinsam haben wir zu Beginn des Schuljahres auf den Hund abgestimmte Verhaltensregeln erarbeitet. Der Morgen, wenn ich mit Paulie das Klassenzimmer betrete, verläuft immer nach dem gleichen Muster: Ich begrüße die Klasse und Paulie dreht einige Runden durchs Klassenzimmer, schnüffelt hier und lässt sich dort streicheln. Manchmal legt sie sich zu Füßen eines Kindes und schläft dort ein. Meist kommt sie jedoch wieder zu mir nach vorne und ruht ein wenig unter dem Pult oder in ihrer Höhle, dem Rückzugsort. Jetzt beginnt der „normale“ Unterricht.

Tiergestützte Pädagogik

Tiergestützte Pädagogik – mittlerweile kein neuer Begriff mehr in der Bildungslandschaft. Doch was verbirgt sich dahinter? Warum gibt es immer mehr Lehrkräfte, die ihre Hunde mit in die Schule nehmen und überzeugt von deren positiver Wirkung sind?

„Ziel der tiergestützten Pädagogik ist es vor allem, die Lernenden in ihren Entwicklungsfortschritten zu unterstützen und Lernprozesse in unterschiedlichen Bereichen zu initiieren“, schreibt Alexandra Biegler in ihrem Leitfaden zu Schulhunden. Vereinfacht ausgedrückt meint es, dass all die Schulkinder, die „auf den Hund gekommen sind“, leichter in ihrer Entwicklung voranschreiten (können) und Neues dazulernen (können), welches unter Umständen ohne Hund nicht oder nur weniger intensiv gelernt werden würde.

Das LABS-Modell

Die Psychologin Andrea Beetz hat dabei für den Einsatz von Schulhunden das sogenannte LABS-Modell entworfen, indem sie die Wirkungen von Schulhunden auf die Menschen beschreibt. Drei grundlegende Wirkfaktoren lassen sich hierbei klassifizieren:

LA – Förderung einer guten Lernatmosphäre: Entspannung, positiver Affekt und Motivation
B – die Förderung positiver sozialer Interaktionen und Beziehungen
S – die psychische und physische Stressreduktion.

Hunde senken nachweislich den Blutdruck und haben positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die einen Hund streichelten, eine höhere Konzentration des Hormons Oxytocin (Bindungshormon) sowie eine geringere Konzentration des als Stresshormon bekannten Cortisol aufwiesen.
Schlafende Hunde üben ebenfalls eine beruhigende Wirkung aus. Hier wirkt das als „Neuroception“ bekannte Phänomen: Es umschreibt ein archaisches System zur Wahrnehmung von Bedrohung und Sicherheit. Hunde, die viel feiner als Menschen Umweltreize aufnehmen, informieren durch ihre Entspanntheit unser Gehirn auf unbewusst neurophysiologischer Ebene, dass alles in Ordnung ist.

Cinderella und Eisbrecher

Bei der pädagogischen Arbeit mit meiner Schulhündin begegnen mir immer wieder zwei weitere wichtige Funktionen: Der Cinderella-Effekt sowie die Eisbrecherfunktion. Ersteres meint, angelehnt an das im Deutschen als Aschenputtel bekannte Märchen, dass ein Hund jeden Menschen annimmt, wie er ist. Ein Hund stigmatisiert nicht, bevorzugt nicht, fragt nicht nach und stellt keine Bedingungen. Gerade für die leisen, manchmal unsicheren Schülerinnen und Schüler baut er eine goldene Brücke sich wohlzufühlen inmitten der vielen anderen Charaktere. Vor allem zu Beginn des Schuljahres, wenn die Klasse sich untereinander noch nicht kennt, hilft Paulie „das Eis zu brechen“, allein durch ihre Anwesenheit, und schafft Gesprächsanlässe.

Geeignete Hunde

Um in dieser oder ähnlicher Form tiergestützt arbeiten zu können, benötigt es einiger Grundvoraussetzungen, denn nicht jeder Hund ist für den Einsatz in der Schule geeignet. Abgesehen davon, dass die Schule in irgendeiner Form ein Konzept zur tiergestützten Pädagogik verabschiedet haben muss, hebt die tierärztliche Vereinigung für Tierschutz folgende Charaktereigenschaften des Hundes als unabdingbar hervor: Er muss freundlich, neugierig, nervenstark, gelassen sowie vertrauensvoll und souverän in verschiedenen Situationen sein. Ein Wesenstest, durchführbar in vielen Hundeschulen, gibt Aufschluss darüber. Weiterhin muss der Hund Freude und Interesse an anderen Menschen und seiner „Arbeit“ zeigen. Das „Mensch-Hund-Team“ agiert dabei in einer vertrauensvollen, sicherheitsgebenden Bindung miteinander.

„Wie sieht es aus?“, frage ich in die Runde. „Sollen wir die Aufgaben besprechen? Danach können wir mit Paulie eine kleine Runde Gassi gehen.“ Die Klasse jubelt, dann wird es wieder still und nahezu alle Finger schnellen nach oben. Jeder will die richtigen Antworten präsentieren, lockt doch der heiß ersehnte Spaziergang mit dem Hund. Hier darf jeder, der möchte, die Hündin an der Leine führen. Die Reihenfolge machen die Kinder dabei unter sich aus. Wer dieses Mal nicht drankommt, darf nächstes Mal zuerst. Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Verantwortung übernehmen, rücksichtsvolles Verhalten üben, Selbstvertrauen gewinnen oder Verhaltensregeln befolgen – neudeutsch als „soft skills“ bezeichnet – haben in der Schule eine hohe Bedeutung, nicht zuletzt durch den gesellschaftlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Paulie übt sie mit meinen Kindern der fünften Klasse alle ein.

Kein Pro ohne Contra

Pro

  • Verantwortungsvoller und respektvoller Umgang mit anderen Lebewesen
  • Naturwissenschaftliches Interesse wird geweckt
  • Kenntniserwerb zu artgerechter Tierhaltung
  • Förderung des Sozialverhaltens und des Teamgeistes
  • Praktische Erfahrung
  • Förderung emotionaler Bindungen
  • Abbau von Ängsten
  • Ruhige Unterrichtsverläufe
  • Spaß und Freude
     

Contra

  • Anschaffungskosten sowie laufende Kosten (z. B. Nahrung, Arztbesuche)
  • Hygienevorschriften
  • Betreuung während der Ferienzeit
  • Verantwortung gekoppelt an die Lebenserwartung der Tiere